Projekt
"Heimarbeit"





Arbeiten mit einer "Kiste"
(Behältnis mit Inhalt und Deckel)
Holzkiste und Deckel ca. 40x40x30 cm
49 ca. faustgroße Bronzeköpfe
49 schwarze Gummiplatten ca. 20x20 cm


Zwischenbericht

Ausgangspunkt dieses Projektes ist der von mir 1989/90 verfaßte Text:
"Versuch einer Darstellung der künstlerischen Probleme, mit denen ich mich in meiner Arbeit beschäftige."
 
Ich versuche das, was ich an Eindrücken, Gesprächen, Gefühlen, Medienerfahrungen, Spaziergängen aufnehme, in meiner Arbeit auf einen Punkt zu bringen, das heißt, auf jeweils einen Punkt. Jeder Punkt ist ein Teil der Gesammtheit aller Eindrücke, so wie jeder Kopf ein Teil einer Gesammtheit und ohne sie auch nicht denkbar ist.
Selbst die Isoliertheit eines einzelnen, herausgestellten Kopfes wird erst in der Masse deutlich. Punkte sind trotz ihrer Ähnlichkeit unterschiedlich, und doch trotz ihrer Unterschiedlichkeit ähnlich.
Jeder Kopf, jedes Teil ist individuell gestaltet, keine Massenware, und ortnetn sich doch einer Masse zu. Jedes einzelne Teil kann für sich stehen, bekommt seine Aufgabe aber erst durch dn Zusammenhang.
Alles, was auf mich einwirkt, beeinflußt meine Arbeit, ob durch äußerliche oder innere Einflüsse. Was nicht heißt, daß ich jedes Erlebnis, jede Beeinflußung gleich in eine Arbeit, Skulptur, Ding, Plastik, Teil verwandle, sondern, daß ich versuche, die Summe meiner Eindrücke zu komprimieren und zu einer Arbeit zu verdichten.
 
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Heimarbeit
49 Köpfe
Bronze, Holz, Gummi

1989
 
Jede Arbeit ist ein Teil von Vielen, ist nicht ein einzelner Aspekt, sondern eine auf einen Punkt geprachte Möglichkeit der Ausdrucksform.
Ich versuche, den oder die Betrachter/in duchr eine scheinbare Unklarheit der Dinge zum Nachdenken anzuregen, durch Irritation im Betrachter ein Hinterfragen der eigenen Einflüsse zu provozieren.
Denn Einflüsse, die tagtäglich auf jeden Betrachter speziell einwirken, formen individuell das Bild meiner Arbeit, um den oder die Betrachter/in nicht noch zusätzlich durch eine vorweggenommene Interpretatoin (den Titel) in eine vorbestimmte (Gedanke-) Richtung zu lenken.
Denn für meine Arbeit sind der Raum bzw. das Umfeld selbst, in dem sich die Dinge zeigen bzw. ich sie zeige, sehr wichtig.Zum EInen, weil sich die Arbeit je nach Kontext verändert, zum Anderen, weil sich für den Betraachter ((also auch für mich) jedesmal ein neuer Bezug zum Raum und deshalb auch zur Arbeit ergibt. Die Wichtigkeit des Raums, des Umfelds, nimmt daher einen immer"größer werdenden Raum" meiner Arbeit ein.
Denn mit der Änderung des Raums ändert sich nicht nur die Arbeit, sondern auch Sehweise.
Dies ist der Ausgangspunkt meiner Arbeit. Die Arbeit mit mich umgebenden Räumen, die nicht einzig als unmauerte Räumlichkeiten definiert sind; und die Beschäftigung mit Raum als Platz oder Ort.
Die Veränderlichkeit des Denkens an Geänderten Orten. Die verschiedene Betrachtungsweise der Dinge allein durch die Veränderung des Umfelds. Die Veränderung des Raums durch die Änderung des Sehens.
Die Miteinbeziehung des Betrachters in Umgebung und Arbeit."
Dieser Text ist der Ausgangspunkt für meine Überlegungen zu diesem Projekt.
Es ist der Versuch einer direkten Umsetzung der Theorie un die Praxis.
Praxis ist die"...Bezeichnung für die tätige Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit..."
 
(Duden, Etymologie, Band7;Dudenverlag.) So folgt auf die Miteinbeziehung des Betrachters in Umgebung und Arbeit der Versuch, den Betrachter direkt in die tätige Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit-in diesem Falle der Wirklichkeit einer Kiste mit 49 Köpfen und Platten und der Wirklichkeit seiner direkten Umgebung, seines Wohnbereichs- miteinzubeziehen.
Inwieweit verändert sich das Denken und die Betrachtungsweise der "Kiste" durch die Veränderung des Umfelds, durch den geänderten Ort, der jetzt nicht mehr ein Ausstellungsraum sondern der jeweilige Wohnraum ist?
Es ist ein Versuch, nicht nur die mich umgebenden Räume, die nicht einzig als unmauerte Räumlichkeiten definiert sind, sondern auch) die Räume, Plätze, Orte der Betrachter bzw. "Heimarbeiter" unmittelbar mit in die Arbeit einzubeziehen.
Denn mit der Änderung des Raums ändert sich nicht nur die Arbeit, die "Kiste", sondern auch Sehweisen.
Dies ist der immer "größerwerdende Raum" den diese Arbeit einnimmt. Sie versucht, nicht nur andere Wohn-Räume, sondern auch Gedanken-Räume aufzunehmen.
Auch für die "Kiste" ist der Raum bzw. das Umfeld selbst, in dem sie sich zeigt bzw. die Heimarbeiter sie zeigen, sehr wichtig.
Zum einen, weil sich die "Kiste" je nach Kontext verändern läßt, zum Anderen, weil sich für den Heimarbeiter ein neuer Bezug zu seinem (Wohn-) Raum und desshalb auch zur "Kiste" ergibt; folglich auch für mich ganz neue Bezüge geschaffen werden.
Denn Einflüsse, die tagtäglich auf jeden Betrachter (also auch auf mich) speziell einwirken, formen individuell das Bild der "Kiste" selbst; das heißt, der Heimarbeiter bleibt nicht nur passiver Zuschauer, sondern wird selbst zu einem kreativen sich mit der Wirklichkeit tätig auseinandersetzenden Faktor.
Dies also sind Rückschlüsse, die ich auf Grund des vorrausgegangenen Textes gezogen habe und durch das Projekt verwirklichen möchte bzw. verwirkliche.
Eine Vorraussetzung zur Verwirklichung ist, daß alle Teilnehmer die gleichen Bedingungen vorfinden; das heißt ich gebe drei Punkte als Bedingung vor:
 
1. Die Aktion dauert 7 Tage
2. Die "Kiste" darf äußerlich nicht verändert (bemalt, zerkratzt, eingeschmolzen...) werden
3. Am Ende des 7. Tages wird der abschließende Zustand von mir fotodokumentiert.

Während und nach dem Fotographieren spreche ich mit den Leuten über die von ihnen eingerichtete Arbeit und versuche so, einen Teil der Beweggründe und Hintergründe für diese Art der "Einrichtung" zu erfahren.
Hier beginnt für mich die erste Möglichkeit einer Zwischen-oder Teilbewertung des Projekts.
Ein sehr wichtiger Satz dafür ist:
"...Denn Einflüsse die tagtäglich auf jeden Betrachter (also auch auf mich)speziell einwirken, formen individuell das Bild der "Kiste" und somit auch die Arbeit mit der "Kiste" selbst..."
Bei bis jetzt gut der Hälfte der vorgesehenen 49 teilnehmenden Gruppen oder Einzelpersonen zeigen sich jedesmal andere, neue Aspekte der Arbeit; zeigt sich, wie direkt die Arbeit bei der "Einrichtung" individuell beeinflusst ust, wie stark sich das momentane Denken der Personen in der "Einrichtung" widerspiegelt. Keine der "Einrichtungen" gleicht bisher einer anderen, das heißt, so unterschiedlich die Personen sind, so unterschiedlich sind auch die "Einrichtungen".
Was aber auch für den weiteren Verlauf des Projekts bedeuten kann, daß, so ähnlich auch die "Einrichtungen" sind, oder auch, so ähnlich die Personen, so unterschiedlich die "Einrichtungen" und so unterschiedlich die Personen so ähnlich doch die "Einrichtungen".
Die Möglichkeit des Selbst-Tätig-Werdens schafft die Möglichkeit einer direkten künstlerischen Arbeit. Das Herausgehen mit der "Kiste" aus den Ausstellungs-Räumen in die Wohn-Räume bringt die Arbeit den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes näher und gibt deshalb auch Leuten, die "nichts mit moderner Kunst anfangen können" die Möglichkeit, mit Kunst " dirkekt etwas anzufangen."
 
Kunst wird für einen kurzen Zeit-Raum, ein Teil von ihrem Wohn-Raum, ein Stück von ihrem Leben und Denken.
Durch die tätige Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit der Kunst intensiviert und ändert sich möglicherweise die Bedingung der Möglichkeit eines Begreifens, Verstehens, Änderns.
Es ändert sich der Raum, auch weil er zu einem Ausstellungs-Raum wird und doch gleichzeitig Wohn-Raum bleibt.
Es ändert sich die "Kiste" durch die verschiedenen Betrachtungsweisen und "Einrichtungen" der Heimarbeiter. Es ändern sich die Betrachtungsweisen durch die Veränderung des Wohn-Raums, der Miteinbeziehung in den Lebens-Raum und ändert sich das Denken und speziell mein Denken über die "Kiste" an geänderten Orten.
Wolfgang van Est 1992